PLAGE-Sprecher Heinz Stockinger erhält Nuclear-Free Future Award

In einem entscheidenden Moment der Auseinandersetzung um die Atomenergie:
Höchste internationale Auszeichnung für Salzburger Antiatom-Kämpfer
Stockinger: „Den Preis bekommen mit mir alle PLAGE-Geister!“

Dem Salzburger und gebürtigen Oberösterreicher Heinz Stockinger wurde am  10. April 2011 der weltweit bekannteste Preis für atomkritisches Engagement verliehen: der langjährige Obmann der Überparteilichen Salzburger Plattform gegen Atomgefahren (PLAGE) erhielt den „Nuclear-Free Future Award“ in der Kategorie „Lifetime Achievement“, also für sein Lebenswerk im Kampf gegen die atomare Bedrohung. Dieses Lebenswerk umfaßt:

1977, damals dreißig, engagiert sich Stockinger gegen die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf. Bald wird er in den Koordinationsausschuß der Initiative Österreichischer AKW-Gegner (IÖAG) gewählt. Der Sieg der Atomgegner in der Volksabstimmung über Zwentendorf im November 1978 ist ein unerwarteter erster Höhepunkt. Stockinger gehört in der Folge zu den wenigen, die das „Nein zu Zwentendorf“ gegen die massiven Versuche, die Volksabstimmung umzustoßen, durchtragen – bis 1986 der Super-GAU von Tschernobyl das Schicksal der Atomenergie in Österreich endgültig besiegelt.

440.000 der 800.000 Einwendungen gegen WAA Wackersdorf aus Österreich

Schon zuvor, Ende 1985, hat er zusammen mit Naturschutzbund-Geschäftsführer Hannes Augustin eine Salzburger Koalition gegen die WAA Wackersdorf zu schmieden begonnen. Das Vorhaben der deutschen Regierung und E-Wirtschaft und atomare Steckenpferd des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, in Niederbayern dereinst abgebrannten Kernbrennstoff wiederaufbereiten zu lassen, kommt insbesondere auch durch den Salzburger Widerstand 1989 zu Fall. Die „Plutoniumfabrik“ mit ihren potentiell verheerenden Langzeitfolgen bleibt so Deutschen und Österreichern auf alle Zeit erspart. Der Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreter Wolfgang Radlegger sprach aufgrund der100.000 Salzburger Einwendungen im WAA-Genehmigungsverfahren von der „größten Bürgerinitiative der Salzburger Geschichte“.

Schon in der Wackersdorf-Endphase hat die PLAGE sofort nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die erste österreichweite Kampagne gegen die Fertigstellung des ersten Atomblocks im tschechischen Temelin lanciert (70.000 Unterschriften an Bundeskanzler Vranitzky). Zwar ist Stockinger daran maßgeblich beteiligt, diese Kampagne wird aber vor allem von der stellvertretenden PLAGE-Obfrau Maria Fellner vorangetrieben.

Wer kannte EURATOM?

1989 übergibt der damalige Außenminister Alois Mock  in Brüssel das Gesuch um Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft, ohne daß er oder Kanzler Vranitzky der Bevölkerung des „Atomfreistaates Österreich“ mitteilen, daß dazu auch das Gesuch um Mitgliedschaft in der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) gehört. Da beginnt Stockinger sich gründlich mit dem EURATOM-Vertrag und dessen Auswirkungen auf Österreichs antiatomaren Handlungsspielraum zu befassen. Wie wenige andere hat er sich seither mit dieser „Privilegien-Burg“ der europäischen Atomwirtschaft und mit ihren weithin unbekannten fatalen Auswirkungen auf die europäische Energie- und Forschungspolitik befaßt. In hohem Maß und als einer der ersten hat der Salzburger Hochschullehrer mit beruflichem Nahebezug zum Atomstaat Nr. 1, Frankreich, zur Aufklärung über die Europäische Atomgemeinschaft  und den ihr zugrundeliegenden EURATOM-Vertrag beigetragen:  Stockinger verfaßte 1993, vor der Volksabstimmung über EU- und EURATOM-Beitritt, mit der Dokumentation „Atomstaat, zweiter Anlauf? – Die Integration Österreichs in die Europäische Atomgemeinschaft“ die bis heute umfassendste Bestandsaufnahme über die Europäische Atomgemeinschaft an die Adresse eines breiteren Publikums.

Wenig verwunderlich, daß der PLAGE-Leiter auch im Zeitraum 2000 – 2005 maßgeblich an internationalen NGO-Initiativen beteiligt war, in den Prozeß für eine EU-Verfassung auch die Abschaffung oder zumindest eine weitreichende Reform des EURATOM-Vertrages einzubringen. Dieses Bemühen gedieh weit, scheiterte aber letztlich insbesondere am Präsidenten des EU-Verfassungskonvents, Valéry Giscard d’Estaing, der als französischer Staatspräsident in den 1970ern die „Grande Nation“ in den atomaren Vollausbau geführt hatte. Nach Fukushima ist es für Stockinger noch unerläßlicher geworden, endlich die „Privilegien-Festung“ EURATOM zu schleifen und dafür österreichische Politik mit Rückgrat und Nachhaltigkeit zu machen. „Mein wichtigster Wunsch für die atompolitische Zukunft ist, daß EURATOM zumindest ernstlich reformiert wird. Sonst kann – wie nach Tschernobyl – die Atomwirtschaft drei oder fünf Jahre nach Fukushima auf völlig denselben europarechtlichen Grundlagen wie vor Fukushima weitermachen. Grundlagen, die ihr unerhörte Begünstigungen gegenüber anderen Energieformen verschaffen.“

Der Atomkonflikt treibt auf eine historische Spitze zu

Die Verleihung des Nuclear-Free Future Award (NFFA) erhält durch die Atomkatastrophe von Fukushima einen besonderen Stellenwert. Auch haben Stockingers jüngste PLAGE-Aktionen zur Offenlegung der bayerischen Evakuierungspläne die weitgehendeHilflosigkeit atomaren Katastrophenschutzes bloßgestellt, wie sie sich aktuell in der japanischen Havariezone offenbart.

Nicht zuletzt unterstreicht der Preis für das atomkritische Lebenswerk just in diesem Moment der Atomgeschichte den Wert eines Engagements über lange Zeit... Stockinger selbst sagt zu seinem Langstrecken-Engagement gegen die Atomkraft: „Schwer für eine Sache zu gewinnen, gebe ich sie dann aber nicht leicht wieder auf.“ – Heinz Stockinger ist heute 63, verheiratet und Vater von  zwei erwachsenen Söhnen.

Den Nuclear-Free Future Award des gleichnamigen Vereines mit Sitz in München haben bisher Aktivisten, Wissenschafter, Künstler, Autoren, Journalisten, Indigenen-Vertreter aus allen fünf Kontinenten erhalten.

Der NFFA (www.nuclear-free.com) ging aus dem 1992 in Salzburg abgehaltenen World Uranium Hearing (W.U.H.) hervor, der größten atomkritischen Veranstaltung, die je auf der Welt stattgefunden hat, mit Zeuginnen und Zeugen des atomaren Unheils von nuklearen Stätten auf allen Kontinenten.

Gerhild Kremsmair, PLAGE-Schriftführerin
 
PS: Interesse an einem Interview, Porträt, Foto des NFFA-Preisträgers? An Fotos/Video von der Verleihung in Berlin? Dann bitten wir Sie, sich im PLAGE-Büro zu melden: info@plage.cc, Tel.: 0662-643 567 (vormitt.)